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Ja
Glaser:Die Verhinderung einer Verkleinerung des Bundestages
22.01.2020 10:29

Die Verhinderung einer Verkleinerung des Bundestages durch eine große Koalition

 

Einhundert Staatsrechtslehrer, eine breite Öffentlichkeit und die Vernunft all derer, die eine handlungsfähige Demokratie sehen wollen, verlangen eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages. Die vom Bundestagspräsidenten berufene Kommission, bestehend aus Mitgliedern aller Fraktionen des Bundestages, hat viele Monate getagt und im Ergebnis die Beratungen erfolglos eingestellt. Die in diesen Tagen entfaltete Hektik vieler Parteienvertreter ist eine Inszenierung zur Verwirrung der Öffentlichkeit. Alle in den Raum geworfenen Stichworte sind nicht zielführend. Insbesondere das Festhalten der CSU am System der „Überhangmandate“ ist pure Interessenspolitik.

 

Hierzu erklärt der Abgeordnete Albrecht Glaser, der die AfD in der Reformkommission vertreten hat und bereits dort einen Lösungsvorschlag eingebracht hatte:

 

„In der Bundesrepublik haben wir seit 70 Jahren eine unbestrittene Kultur des Verhältniswahlrechts entwickelt. D. h. die Zusammensetzung des Bundestages soll die politische Stimmung der Wahlbevölkerung über die Parteienstimme –unglücklicherweise „Zweitstimme“ genannt- wiederspiegeln. Die 299 Wahlkreise, die gebildet worden sind, um die Hälfte der 598 Abgeordneten durch Direktwahl mit einer gesonderten „Erst“-Stimme zu bestimmen, waren nie dazu gedacht, auf geheimnisvolle Weise die Größe des Bundestages über die gesetzlich gewollte Zahl von 598 Mandaten hinaus aufzublähen. Deshalb werden systemgerecht die gewonnenen Direktmandate auch auf die Listenmandate der gleichen Partei angerechnet.

 

Das Problem der ungewollten Vergrößerung des Bundestages entsteht im Wesentlichen dadurch, dass man Wahlkreise auch mit einer knappen „relativen“ Mehrheit von z. B. 22 %, wie 2017 geschehen, der gültigen Wahlkreisstimmen gewinnen kann. Ein solches Ergebnis bedeutet, dass etwa 80 % der Wahlkreiswähler den Kandidaten gar nicht wollen. Das Loblied auf die demokratische Kostbarkeit des Direktmandats, das derzeit gesungen wird, ist sonach eine Farce. Eine Partei, die bundesweit z. B. 33 % der Wählerstimmen gewinnt, jedoch in weiten Teilen des Landes die relativ stärkste politische Kraft ist, kann theoretisch alle Direktmandate gewinnen und allein damit die Hälfte der Bundestagsmandate.  Sie steht also –allein durch die Direktwahlen- so dar, als hätte sie in der Wahlbevölkerung eine Zustimmung von 50 %. Dies ist ein offenkundiger Systemfehler, den es seit 1953 schon gab, der sich jedoch lange nicht so stark ausgewirkt hat wie 2017, wo durch ein verändertes Parteienspektrum dieser Mangel die Dimension angenommen hat, dass fast 110 „überzählige“ Mandate entstanden sind.

 

„Überzählig“ sind diese Mandate, weil sie den Parteien zugesprochen werden, auch wenn ihnen nach der „Zweitstimme“, die allein über die Stärke der Fraktionen im Bundestag maßgeblich sein soll, so viele Sitze gar nicht zustehen. Man nennt diese Mandate deshalb im Fachjargon auch „Überhangmandate“. Über viele Jahrzehnte hat meistens die CDU von diesem Effekt profitiert, der nicht zuletzt durch „Leihstimmen“ etwa der FDP vergrößert wurde. Auch die Regierung Schröder hatte durch „Leihstimmen“ der Grünen seinerzeit ihre Regierungsmehrheit erlangt. „Leihstimme“ deshalb, weil der Teil der Wählerschaft, welcher seine Stimmen für den Direktkandidaten und die Landesliste auf unterschiedliche Parteien verteilt, ggfls. ein doppeltes Stimmgewicht erhält gegenüber den Wählern, welches dies nicht tun. 2013 hat das Bundesverfassungsgericht die Lage insofern verändert, dass es im Falle von „Übergangmandaten“ noch zusätzliche „Ausgleichsmandate“ für alle anderen Parteien verlangte, um auf diese Weise wieder dem Verhältniswahlcharakter Geltung zu verschaffen. Dies war leider ein Reparaturversuch mit falschen Mitteln, wie sich inzwischen zweifelsfrei zeigt. So bedeutet der Zwang, Überhangmandate durch Ausgleichsmandate zu kompenzieren, dass z. B. die CSU, wenn sie, wie 2017 geschehen, 7 Überhangmandate erringt, die Zuteilung von 80 Ausgleichsmandaten an die anderen Parteien auslöst.

 

Es gibt, wie auch kluge Köpfe in der Wissenschaft herausgefunden haben, nur ein Mittel gegen einen aufgeblähten Bundestag: Die Entstehung von Überhangmandaten zu verhindern! Wie macht man das? Durch eine Regelung, welche, ohne die Zahl der Wahlkreise zu verändern, die Zahl der Direktmandate begrenzt auf die Zahl der Mandate, die jeder Partei nach der Höhe der errungenen „Zweitstimmen“ zustehen. Dies geschieht in bester demokratischer Manier dadurch, dass die Direktbewerber, welche die schlechtesten Wahlergebnisse im Verhältnis zu denen ihrer Mitbewerber der eigenen Partei in den anderen Wahlkreisen eines Bundeslandes haben, nicht zum Zuge kommen. Auf diese Weise könnte man sogar, wie von der AfD vorgeschlagen und als Entschließungsantrag im BT eingebracht, den BT gegenüber den 598 gesetzlich erwünschten Mandaten verkleinern, z. B. auf etwa 450 Mandate. So etwas könnte man dann eine echte Wahlrechtsreform nennen.“

 

Albrecht Glaser, MdB

Berlin, den 22.01.2020

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