05
Ok
Paul Hampel: Mein Abschied von Kundus
05.10.2015 06:42

Berlin, 1. Oktober 2015. Für jeden, der die Geschichte Afghanistans kennt und der die Straße vom Flugfeld  Kundus Richtung Stadt zum ersten mal befuhr, wirkte es wie eine drohende Mahnung aus der Vergangenheit. Tonnenweise war hier der Militärschrott der ruhmlosen Sowjetexpedition am Hindukusch zu lichten Höhen aufgestapelt, die Symbolik  nicht zu übersehen. Hier lagen die Trümmer der sowjetischen Hybris, die von einem Durchmarsch ihrer heldenhaften Roten Armee  vom Hindukusch bis an den indischen Ozean geträumt hatte.  Und die das verwirklichen sollte, was schon zu Zarenzeiten das Great Game genannt wurde; der Konflikt der russischen Groß- mit der englischen  Kolonialmacht,  um die Vorherschaft im strategisch so wichtigen Einfallstor nach Südasien.  Der Blutzoll in beiden Feldzügen war hoch für die Russen.  Für die Briten übrigens auch.  Es waren Afghanen, die ihnen beim Rückzug von Kabul zum Kyberpass mit 13000 gefallenen Rotröcken, die größte Niederlage des British Empire in den Kolonien bereiteten.

Ich kannte Kundus noch aus den Tagen der Talibanherrschaft, Ende der 90er Jahre. Nun, im Jahre 2003, war das grausame Regime der Koranschüler beendet. Der einstige Handelsknotenpunkt, den die Talibs zu einem schmutzigen Nest hatten verkommen lassen,  erblühte zu neuem Leben. Fünf Jahre lang  gehörte der Ort und sein Umland zu meinen wichtigsten Berichtsgebieten als ARD-Korrespondent.  Ich erinnere mich an erste afghanische Schönheiten, die , nach der wiedergewonnen Freiheit, zumindest auf den  Gesichtsschleier verzichteten.  Der ängstliche amerikanische Oberstleutnant kommt mir in den Sinn, der mit seiner Truppe nun für die deutschen Soldaten der Bundeswehr sein Camp räumen sollte, um weiter in den Irak zu ziehen. Gerne wäre er lieber in dem langweiligen, staubdurchwehten Städtchen geblieben, sowie einige seiner Kameraden. Ich denke an die ersten jungen Deutschen, die mit Elan und Mitmenschlichkeit von einer Mission des Friedens und des Helfens träumten. Und an ihren Kommandeur, der schon nach wenigen Wochen im Tagesbefehl die Parole ausgab, “lasst euch nicht vor den Mohnfeldern photographieren. Der Opiumhandel ist nicht unsere Sache.”  Ansich war es  diese von Anfang an betriebene Politik des Wegschauens, die das erfolglose Ende der Expedition schon damals erahnen lies.  Anfängliche Erfolge täuschten darüber  nur hinweg. Denn natürlich schalteten die ansonsten eher furchtlosen Kämpfer des Mullahregimes erstmal in den Rückzugsmodus, angesichts der von den Einheimischen frenetisch begrüßten deutschen Soldaten.

Lose Tuchfühlung haltend verschafften sich die Gotteskrieger jedoch schnell  ein Bild von der Kampfkraft und Moral der Soldier Alleman. Bald hatte man ihre Schwachpunkte entdeckt. Die Deutschen kümmerten sich vor allem um ihre Sicherheit; nur kein Risiko, nur kein falscher Befehl. Einsätze mussten – mit der entsprechenden Zeitverzögerung- erst aus Deutschland bestätigt werden.  Eine robuste Offensivtaktik gab es nicht.  Selbst bei konkreten Hinweisen auf Ansammlungen von Talibankriegern verständigte der deutsche Kommandeur die völlig überforderte, aber zuständige afghanische Nationalarmee. Oft genug auch nur die örtliche Polizei. Um nur keine eigenen Soldaten zu gefährden,  hatte der Schutz des deutschen Camps Kundus oberste Priorität. Nur jeder zehnte dort stationierte Soldat hat die Welt außerhalb überhaupt kennenlernen dürfen. Neun Zehntel lebten im Lager und blieben dort. Mit den erahnbaren Frustrationen. Ich erinnere mich an einen tobsüchtigen Oberfeldwebel, der mich und mein Team zusammenbrüllte, weil wir ein paar Momente zu früh die Fahrzeugtür unseres Dingos aufgemacht hatten.  Es ging hier nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine Visite beim örtlichen Malik, einem Stammesältesten.  Wir waren x-mal zu oft in wirklichen Gefahrenmomenten, um die Angst des jungen Unteroffiziers zu teilen. Und man muss kein Held sein, um seine Angst zu überwinden.

Der Besuch des damaligen Verteigungsministers Jung kommt mir in den Sinn, der aus Sicherheitsgründen keinen Meter vor die Tore des Camps machen durfte. Mir kam es vor, als seien wir die Ausgeschlossenen, nicht die Talibs. Nein, eine so geführte Mission konnte nicht gelingen. Den Preis für die Niederlage am Hindukusch zahlen die, die ich in ihrem Alltag in Kundus kennenlernen und begleiten durfte. Das Bild der schönen Afghanin ist mir noch heute im Gedächtnis (mein Freund Falk Peplinski hat ein bezauberndes Foto von ihr). Der Obsthändler, der mir stolz seine fruchtbaren Plantagen zeigte, der Stammesführer, der jeden Bewässerungsgraben der umliegenden Felder kannte. Der alte Rechtsanwalt, dem unter dem Gesetz der Scharia sein Handwerk abhanden kam und dem jungen Opiumbauern, der mir zu versichern versuchte, den Mohnanbau zu beenden, wenn er genug Geld für die lebenswichtige Operation seines Vaters zusammen hätte. Sie alle haben einer NATO-Mission vertraut, die scheitern musste, weil niemand den wirklichen Erfolg oder dessen Preis bezahlen wollte. Angeblich hat die afghanische Nationalarmee Kundus gestern von den Talibs zurückerobert. Es ist nur ein temporärer Erfolg, ihre Niederlage längst besiegelt. Zurück bleiben meine vielen afghanischen Freunde, die mir vertraut und mich oft genug unter persönlichem Einsatz aus manch schwieriger Situation befreit haben.  Alleingelassen von einer westlichen Wertegemeinschaft, die ihre wichtigsten Werte längst nicht mehr kennt. Ich warte nun, bis die ersten so Betrogenen an meine Haustür klopfen. Angela Merkel hat sie mit einer neuen Lüge gerufen.

Kommentare


Datenschutzerklärung