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Albrecht Glaser:Offener Brief an Herrn Martin
27.04.2017 12:38

Offener Brief an Herrn Martin zum Leitartikel in der WELT am 24..04.2017:    WELT-Artikel hier klicken

Sehr geehrter Herr Martin,

wenn man Ihre Wohlfühlgeschichte liest, fragt man sich, ob Sie über die Lebenswirklichkeit unseres Landes schreiben oder nur den „Meckerern“ die Absurdität ihres Tuns vor Augen führen wollen. „Obwohl unser Land gut dasteht und man uns weltweit liebt, wird dies alles nicht wertgeschätzt.“ Was sind das nur für komische Menschen, die statt Easy-living ihren Missmut zur Schau stellen, wo es uns allen doch so gut geht?

Andere sitzen zufrieden im „Straßencafé in Tel Aviv oder trinken Pernod in Südfrankreich“. Nur die verrückten Deutschen granteln. Das muss ihre Natur sein, z. B. die „german Angst“, also ein psychopathologischer Zustand.

Vielleicht liegt die Paradoxie jedoch weniger beim Verhalten der Leute, die sich ihres elysischen Zustands nicht bewusst sind, sondern in der Differenz zwischen Schein und Sein? Und über das Sein sagen Sie nichts. Die für Menschen maßgebliche Lebenswirklichkeit beschreiben Sie mit sicheren Arbeitsplätzen und Exportboom. Andere, möglicherweise viel wichtigere Lebensumstände als bestimmte Formen des materiellen Wohlergehens, kommen in Ihrer Geschichte nicht vor.

• Dabei müssten wir alle schon deshalb depressiv sein, weil die Erde demnächst verglüht. Oder ist das nur Panikmache und die, welche dieses Thema zur Staatsraison gemacht haben, glauben selbst nicht an diesen Spuk?

• Dann gibt es wohl welche, die glauben zwar nicht an die verglühende Welt, aber vielleicht daran, dass uns dieser Staat demnächst um die Ohren fliegt. Sie rechnen einfach, um beim schnöden wirtschaftlichen Denken zu bleiben, die 40 bis 50 Mrd. Euro, die 2016 für Migranten ausgegeben wurden, hoch über viele Jahre. Sie tun dies, da sie ahnen, ja eigentlich wissen, dass nicht einmal die „Arbeitsintegration“ der Menschen aus aller Herren Länder funktionieren wird. Und da deren Zahl sich aus mehreren Gründen vervielfachen wird, rechnen sie mit 100 bis 200 Mrd. Euro pro Jahr. Das geht dann für eine sehr überschaubare Zeit schon in den Billionenbereich, wie Fachleute ausgerechnet haben. Und dann ist Schluss mit lustig. Da es schon genug kaputte Staaten gibt, haben die Leute davor „Angst“, weil sie wissen, was das für sie bedeutet.

• Dann kommt die nächste Migrationswelle, vielleicht auch viele kleine, weil die EU durch eigene Rechtssetzung für jeden Verfolgten weltweit einen Rechtsanspruch auf Asyl oder sonstigen Schutz gewährleistet und gar nicht dran denkt, das zu ändern. Die Millionen, die einen solchen Anspruch haben, werden täglich mehr. Es geht um eine 3-stellige Millionenzahl. Und aus Berlin wird Bagdad.

• Dann haben solche nachdenklichen Menschen etwas gründlicher recherchiert und stellen fest, dass Deutschland inzwischen ein Haftungsrisiko von 1,5 Billionen Euro an der Backe hat für andere Europäische Staaten, für deren Schulden wir doch eigentlich gar nicht haften, wie immer erzählt wurde und wie es in den Europäischen Verträgen steht. Da sie wissen, diese Nachdenklichen, dass die Verträge nicht wirklich etwas bedeuten, haben sie „Angst“ vor den nächsten Vertragsbrüchen, die ihnen den Rest ihrer Volkssouveränität rauben.

• Dann erleben diese Menschen, dass ihre Altersversorgung, soweit sie aus monetären Sparformen besteht, Jahr für Jahr zusammenschmilzt. Sie bekommen daher „Angst“ vor der Altersarmut. Junge Familien haben „Angst“, dass sie das ersehnte Bauprojekt nicht verwirklichen können, weil die Immobilienpreise explodieren. Dies alles schreiben sie dem Euro zu, der doch so segensreich ist.

• Dann denken solche Menschen aus guten Gründen, die sie täglich hautnah erleben, darüber nach, wie man sich die übrige Umgestaltung der bisherigen deutschen Zivilisation vorstellen soll. Sie waren gerade zu Neujahr in Köln und dort unter großem Polizeischutz fröhlich. Das macht ihnen „Angst“. Aber keine vor dem Klima oder Atomkraftwerken oder dem Waldsterben oder den „Populisten“, sondern vor dem Zusammenbruch ihrer ganzen bisherigen Lebenswelt außerhalb von McDonald und dem morgendlichen Verkehrsstau.

• Dann haben die geistig Regsamen vielleicht „Angst“ vor dem Wahrheitsminister, der den Mitarbeiter von Google zum Richter über ihre Posts macht. Der Mitarbeiter muss in wenigen Stunden über ihre Meinungsfreiheit entscheiden. Dazu braucht ein richtiger Richter viele Monate und ist vielleicht auch befähigt, solche Entscheidungen zu fällen. Der Mitarbeiter von Google und sein Arbeitgeber werden mit so hohen Strafen bedroht, dass sie aus „Angst“ lieber die Meinungsfreiheit abschaffen als persönlich zu haften. Ein perfider Mensch, der Wahrheitsminister oder?

• Und dann lesen solche (früher) eigentlich ganz normale Menschen, die neuerdings populistische Monster sind, wie man einräumen muss, einen Artikel wie den Ihrigen und denken, sie seien in der Psychiatrie. Jeder hat einen weißen Kittel an. Man weiß nur nicht, wer der Arzt und wer der Patient ist.

Mit freundlichen Grüßen

Albrecht Glaser

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